Geografische Lage
Vielleicht in Südamerika oder sogar ein Land des Balkans? Wir wurden bereits zu den lustigsten Ecken der Welt gezählt, denn leider ist Litauen für viele ein weißer Fleck auf der Landkarte. Dabei singen wir schon seit ewigen Zeiten: „Litauen liegt mitten in Europa“. Da auch Sie noch nicht mit unseren Volksliedern bekannt sind, so können wir Ihnen sagen, dass wir im „Mittelpunkt von Europa“ liegen. Im Jahr 1989 fanden französische Forscher heraus, dass sich der geografische Mittelpunkt Europas in Litauen befindet. Dieser ist nur ein wenige Stunden von anderen europäischen Hauptstädten entfernt, weswegen es so einfach ist, mit dem Bus, der Bahn oder dem Schiff unser kleines Land zu erreichen. Willkommen in Litauen – einem Land Nordeuropas und die grüne Perle im Zentrum Europas.

Aus geografischer Sicht, und nach Ansichten der Vereinten Nationen, liegt Litauen in Nordeuropa. Im Jahre 1992, kurz nach der Wiederherstellung der litauischen Unabhängigkeit, wurde unser Land von den Vereinten Nationen in die Gruppe der „Nordischen Staaten“ aufgenommen. Der reiselustige Geograf Kazys Pakštas entwickelte diese Idee bereits vor dem Zweiten Weltkrieg, denn er wollte die sieben Ostseeländer Litauen, Lettland, Estland, Finnland, Schweden, Norwegen und Dänemark in einer Union vereint sehen – die „Baltoskandische Konföderation“ – ein stabiler nordischen Block, der den Austausch einer gemeinsamen Kultur und Geschichte fördern sollte.

Uns verbindet viel mit der Ostsee. Als echte Balten können wir uns ein Leben ohne das Meer nicht vorstellen. Die raue See, die oft stürmisch und unberechenbar sein kann, prägte zeit unseres Lebens, die hiesigen Traditionen, Gebräuche und Eigentümlichkeiten. Oft werden die Küsten von den nordischen Wind durchwühlt, die Wellen können hoch und manchmal sogar gefährlich sein, doch mitunter erinnert die Ostsee auch an einen Ententeich. Vor allem der Sonnenuntergang ist einzigartig, denn durch die schimmernde Wasseroberfläche und das flache Land ergibt sich ein prächtiges Farbenspiel, das bereits viele Künstler inspiriert hat.

Von allen Sagen, in denen die Hauptstadt von Litauen, Vilnius, erwähnt wird, mögen wir am meisten die Geschichte, die von dem Traum des Großfürsten Gediminas erzählt, in dem er einen mit hunderten Stimmen heulenden eisernen Wolf gehört haben soll. Heute wird niemand herausfinden können, ob der Wolf tatsächlich im Traum des Großfürsten vorkam und ob sein Heulen ein Hinweis darauf war, die Stadt Vilnius zu gründen. Wir haben jedoch unwiderlegbare Beweise, dass Gediminas Kaufleute, Krieger, Handwerker und Geistliche von Europa nach Vilnius geholt hat. Unsere Nachbarn, die Letten, bewahrten einen auf Latein verfassten Brief des Großfürsten aus dem Jahr 1323 auf. Das ist die erste Quelle, in der der Name Vilnius Schwarz auf Weiß geschrieben wurde.
Die Zeit hat die Traditionen nicht verändert, und das prächtige, am Fluss Vilnia errichtete, mit weißen Kirchen, den roten Dächern der Häuser geschmückte und in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommene historische Zentrum von Vilnius hat sich wenig verändert.
Über Jahrhunderte hinweg begegneten wir in unserer Hauptstadt östlichen und westlichen Kulturen. Wir bewundern die historischen Stadtgebäude wegen ihrer verschiedenen Stile: Hier treffen sich Elemente der Gotik, des Klassizismus, der Renaissance und des Barocks. Die engen Gassen der Altstadt und die großen, hellen Plätze zeigen, dass Vilnius den Einfluss fremder Kulturen nicht verpasst hat. Im Gegenteil, die Stadt respektierte und bewunderte fremden Kulturen.
Heute ist unsere Hauptstadt eine moderne, zeitgenössische, aber auch eine gastfreundliche Stadt voller Kultur und Kreativität. Sie ist eine Stadt, in der Skulpturen ihre Sprache sprechen, wo Musik gespielt, gutes Essen gekocht wird und wo Abenteuer angeboten werden. In das Zentrum von Vilnius können Sie mit dem Boot ankommen, auf einer Wiese in der Stadt können Sie in einen Heißluftballon einsteigen und abheben, mitten in der Stadt, im Waldpark, können Sie Veilchen pflücken, oder Sie können die Sterne am selben Berg zählen, wo der eiserne Wolf geheult hat.

Eine litauische Weisheit besagt: „Der Nachbar ist einem näher als Verwandte.“ Das gilt vor allem für unser baltischen Nachbarn. Im Jahr 1989 haben die Bewohner Litauens, Lettlands und Estlands eine 650 km lange lebendige Menschenkette durch die baltischen Staaten gebaut, um unseren großen Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit für die ganze Welt zum Ausdruck zu bringen. Im März 1990 tauchte Litauen dann endlich wieder auf der Weltkarte auf und konnte sich als unabhängiger, europäischer Staat entfalten.
Mit unseren baltischen Nachbarn verbindet uns eine gemeinsame Geschichte, die durch Kultur und Handel geprägt ist. Mit unseren lettischen Nachbarn teilen wir die gleichen sprachlichen Wurzeln und eine gemeinsame heidnische Vergangenheit, die in Traditionen, Kunst und Kultur erlebbar wird. Im 13. Jahrhundert gründeten wir zusammen mit Polen, Weißrussland und einem Teil Lettlands, das Großfürstentum Litauen – den größten europäischen Staat seiner Zeit, das bis an das Schwarze Meer reichte. Wir hatten gemeinsame Fürsten, teilten die gleichen Künstler, Schriftsteller, Dichter und Architekten.

Die Wogen unserer Geschichte hatten ihre Höhen und Tiefen: Wir wurden aus unseren Häusern vertrieben und in der ganzen Welt verstreut. Einige von uns mussten vor Kriegen fliehen – nach Deutschland, Großbritannien, Irland, den Vereinigten Staaten von Amerika, Australien oder Kanada. Es gab auch jene, die unfreiwillig das Land verlassen mussten. Während harter sowjetischer Repressionen, hat man uns und unsere baltischen Nachbarn, in Zügen nach Sibirien verbannt. Nur eine Handvoll konnte den eisernen Vorhang durchbrechen und in die freie Welt entkommen.